Brennen sollst du by Uhlmann Frank

Brennen sollst du by Uhlmann Frank

Autor:Uhlmann, Frank
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: dtv Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


KAPITEL 20

Sie durfte keine Zeit verlieren.

Um sich daran zu erinnern, hatte sie ihre Armbanduhr neben sich auf den Tisch gelegt. Hielten sich die Täter an ihre eigenen Regeln, blieben ihnen noch knapp vierundzwanzig Stunden. Dann war Rebecca Marx tot.

Trotzdem fiel es Katharina schwer, sich zu konzentrieren. Zu vieles ging ihr gleichzeitig durch den Kopf. Normans heiliger Zorn auf den Glauben. Die Menschen, die sich daran klammerten und darauf vertrauten. Vertrauen, nach dem Katharina sich sehnte, das sie aber längst verloren hatte. Trotzdem blieben ihre Zweifel an der Schuld der Katharer. Und die Erinnerung an ihren Abend mit Jacobi.

Reiß dich zusammen, dachte sie. Das kannst du doch. Besser als alles andere.

Da sie keine bessere Idee hatte, machte sie weiter, wo sie aufgehört hatte: bei den Zeichen am Rand des Dokumentes aus dem Staatsarchiv. Noch einmal war sie nach Wiesbaden gefahren, hatte den neugierigen Fragen der Archivarin ausweichend geantwortet und sich einen ruhigen Platz gesucht. Jetzt lag der dünne Band wieder vor ihr, und Katharina strich mit dem Finger langsam über den Seitenrand. Sie konnte die Schriftzeichen spüren. Sie wusste, was sie bedeuteten. Und hatte keine Ahnung, was sie damit anfangen sollte. Die Spuren waren nicht zufällig hinterlassen worden, so viel war klar. Aber waren sie Teil der Botschaft? Oder eine Falle?

Die Uhr tickte, und Katharina begriff, dass nicht sie die Spielregeln bestimmte. Ihr blieb nur, auf das zu reagieren, was die Täter ihnen vorgaben: die Brotkrumen aufzusammeln, die sie ihnen hinwarfen.

Noch einmal tastete sie den Rand der Seite ab, unten, rechts, oben. Nichts, keine weiteren Vertiefungen oder irgendwelche anderen Spuren. Katharina blätterte vor und wiederholte die Prozedur. Doch weder auf den folgenden noch auf den vorangehenden Seiten fand sie einen Hinweis. Warum also hier? Was war so besonders an dieser einen Seite?

Wieder las sie den Text. Die Studie untersuchte die Veränderungen in den religiösen Bindungen der Bevölkerung Westhessens zwischen 1960 und 1975. Das Kapitel befasste sich mit den Auswirkungen der Studentenproteste. Katharina fiel es schwer, sich irgendeine Verbindung zwischen Achtundsechzigern und streng religiösen Sekten auch nur vorzustellen. Trotzdem las sie weiter.

Und stockte.

In der Untersuchung hieß es, infolge der Jugendbewegung seien viele Glaubensgemeinschaften von einer Welle von Austritten überrollt worden. Vor allem junge Menschen hätten sich an anderen Werten orientiert. Freiheit statt Gemeinschaft, Individualität statt Autorität. Davon seien nicht nur die Amtskirchen betroffen gewesen, sondern auch kleinere Gruppen und Sekten, von denen zu jener Zeit eine ganze Reihe in Westhessen aktiv gewesen seien. Gerade für sie habe der Mitgliederschwund oft existenzbedrohende Ausmaße angenommen. Um ihre Aussagen zu stützen, verwiesen die Autoren auf eine weitere, frühere Studie von 1971. Im Auftrag der Landesregierung hatte sie den Einfluss der Jugendbewegungen auf den ländlichen Raum am Beispiel des Taunus untersucht.

Das Dokument war in der Datenbank des Archivs verzeichnet. Während Katharina auf die Herausgabe wartete, fragte sie sich, was passieren würde, sollte sie tatsächlich eine Spur der Katharer finden. Sie hoffte es, mehr als alles andere. Aber es fiel ihr schwer zu glauben, dass es damit vorbei sein sollte. Dass die Polizei an der Tür klopfen, die Täter festnehmen und Rebecca befreien würde.



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